Sklensky gewinnt einen Freund

Als Inspektor Sklensky die Stimme seiner Assistentin Simone am Telefon hört, ist er fast erleichtert: „Da ist etwas passiert, Herr Inspektor, bei Zeit-Druck“, flüstert sie. Das ist gut so, denkt Sklensky, denn sonst wäre seine ganze Abteilung „Sonderkommission für Aufklärung von Verbrechen in Druckereien in Österreich“ völlig umsonst. Kostenlos ist die Kommission ja auf keinen Fall, aber das wundert den in Österreich aufgewachsenen Sklenksy natürlich nicht.

Hans Sklensky ist noch keine fünfzig Jahre alt – darauf legt er Wert – und leitet seit drei Jahren die Sonderkommission. Seine Frau hat ihn vor sieben Jahren wegen einem Agenturfuzzi verlassen, seitdem versteht er, warum einige Drucker die Werber nicht so mögen. Er hat zwei Kinder, 26 und 24 Jahre alt. Manchmal ist er sich selbst nicht sicher, wozu man eine Sonderkommission für Druckereien braucht. Manchmal ist er sich selbst nicht sicher, ob die Welt ihn überhaupt braucht. Sklensky seufzt und macht sich auf den Weg.

Das erste, was Inspektor Sklensky beim Betreten der Druckerei Zeit-Druck im 21. Bezirk auffällt, ist der seltsame Geruch: Es ist ein Gewürz, das erkennt der Inspektor, aber genau kann er den Duft nicht zuordnen. Es ist fast süß und doch eher exotisch.

Dann fällt ihm auf, dass der den Mann kennt, der da neben den alten Setzkästen im Kundenbereich sitzt. Es handelt sich um Robert Rath, den Betriebsrat aus der alten Druckerei im vierten Bezirk, der in seinem letzten Fall (der übrigens auch sein erster war) recht auffällig, schlussendlich aber doch unschuldig gewesen war, ja sogar einige entscheidende Hinweise auf den Mörder gegeben hat.

„Was machen Sie denn hier?“, fragt Sklenksy, während er sich setzt und sich nach einer Kaffeemaschine umsieht. Die Wände des Besucherzimmers sind voller Zertifikate: PSO, CSR, FSC, PEFC und mehrere ISO-Zertifikate hängen da.

„Der Ermordete war der Betriebsrat hier“, sagt Robert Rath. Er zieht ein Päckchen Zigaretten aus dem Sakko und sieht den Inspektor an. Sklenksy nickt und zündet sich die angebotene Zigarette mit seinem eigenen Feuerzeug an. „Was ist hier passiert?“, fragt er. Robert Rath nimmt einen tiefen Zug, dann sagt er: „Der Kollege Sablatnig war unser Bezirkssekretär. Heute morgen hat man ihn mit einem Messer im Bauch tot hier in der Druckerei gefunden. Mich interessiert, wer so etwas tun kann?“.

„Mich interessiert derzeit viel mehr, wonach es hier riecht“, sagt Sklenksy. „Ist das vielleicht Muskatnuss?“. „Möglicherweise Lorbeer?, meint Robert Rath, während er seinerseits einen tiefen Zug aus seiner Zigarette nimmt. „Wenn wir herausfinden wollen würden, was hier in dieser Druckerei so riecht, dann sollten wir vielleicht jetzt keine Zigaretten rauchen“.

Die Tür geht auf und ein kaum 30jähriger Mann tritt hektisch ein. „Meine Herren, mein Name ist Ing. Siegfried Alfa, ich bin hier Betriebsleiter bei Zeit-Druck und ich möchte sie bei der vollständigen Aufklärung dieses Verbrechens unterstützen. Bitte folgen Sie mir!“, sagt er, dann trifft sein Blick auf die Zigaretten. „Im gesamten Gebäude herrscht natürlich Rauchverbot, meine Herren, bitte!“. Sklensky und Rath schauen einander an, verdrehen die Augen und verwenden ein paar alte Bleiregletten zum Ausdämpfen ihrer Zigaretten.

Zeit-Druck hat eine ganz eigene Atmosphäre, denkt sich Sklenksy. Neben dem seltsamen Geruch, der nun wieder deutlich zu spüren ist, wirkt alles ein wenig hektisch. Alle Personen, die sie treffen, während sie sich zum Tatort begeben, wirken ein wenig aufgeregt. Das kann natürlich an dem Mordfall liegen, aber Sklenksy vermutet, dass hier ein bisschen zu viel Hektik vorherrscht, möglicherweise auch dann, wenn hier gar kein Mord passiert.

Die Leiche ist abgedeckt und der Gerichtsmediziner zieht sich gerade die Handschuhe aus, als sie eintreffen. Gut so, denkt Sklenksy, Tote mag er nämlich gar nicht ansehen. „Das Opfer heißt Egon Sablatnig, ist 29 Jahre alt und keine drei Stunden tot.“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Der Gerichtsmediziner Alfons Übel wirkt wie ein Präzisionsuhrwerk. Er erläutert die Verletzungen, die der Tote beim Auftreffen auf den Boden erlitten hat, und die Todesursache durch den Messerstich so genau, dass Sklenksy unbändige Lust auf eine von Raths Zigaretten bekommt. Als Übel mit seinem Vortrag fertig ist, fragt Sklensky: „Sagen Sie, wonach riecht es hier? Ist das Curry? Oder Knoblauch?“. „Ich bin mir wegen der Todesursache allerdings noch nicht hundertprozentig sicher“, sagt der immer korrekte Übel, „Ich möchte mir noch etwas anschauen, ich melde mich noch bei Ihnen“. Er winkt seinen Leuten, die die Leiche aufheben. Und fort ist er, ohne dass er zum Thema Geruch überhaupt etwas gesagt hat.

„Na gut“, sagt Sklenksy und schaut Ing. Alfa, den Betriebsleiter von Zeit-Druck, an. „Erzählen Sie mir doch bitte etwas über das Opfer, Herr Ingenieur!“.

„Jaja“, sagt Alfa, „der Sablatnig ist – oder war – unser Betriebsrat. Er war Drucker und hat öfter in der Nachtschicht gearbeitet. Gestern war er aber eigentlich nicht in der Nachtschicht. Sonst weiß ich eigentlich nichts über ihn.“ Er schweigt. „Es ist ein tragischer Verlust“, sagt er dann noch.

Nachdem Sklenksy mit einigen Personen aus der Druckerei gesprochen hat, die in der Nacht gearbeitet haben, hat er noch immer keinen Verdacht. Aufgefallen ist ihm nur, dass alle Leute hier anscheinend extrem unter Zeitdruck stehen und sehr hektisch wirken. „Die Druckbranche hat auch schon rosigere Zeiten erlebt“, denkt er sich. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte“, sagt er zu Alfa. Der salutiert fast, verbeugt sich dann aber elegant und begleitet Sklenksy und Rath hinaus.

„Was meinen Sie?“, fragt Sklenksy, als Sie in der Morgensonne vor dem Tor der Druckerei stehen. „Weiß nicht“, sagt Rath, „aber sehr glücklich sehen mir die Leute hier nicht aus.“ „Sie meinen, der ermordete Sablatnig hat wieder einen dieser absurden Paragraphen im Kollektivvertrag herausgefunden, der hier nicht bezahlt wird?“. Robert Rath schaut ihn an: „Mir geht es immer um eine gerechte Verteilung. Bei Zeit-Druck sieht es so aus, als ob man gar nichts mehr verteilen kann. Da hilft der beste Kollektivvertrag dann auch nichts.“ Sklensky schaut zurück: „Da ist was dran. Soll ich Sie auf einen Kaffee einladen, vielleicht fällt uns ja noch etwas ein zu dem Thema?“

Das Lokal, das sie finden, ist bodenständig und es hat einen Gastgarten, in dem sie rauchen können. Es ist knapp vor 11 Uhr am Vormittag, sie bestellen Bier und Gulasch. Sklenksy beginnt: „In der Druckerei waren also alle extrem unter Druck“. Robert Rath sagt: „Der Sablatnig hat kaum von seinem Betrieb geredet, aber wirklich glücklich war er dort offensichtlich nicht. Das Gulasch hier ist übrigens hervorragend. Die tun irgendein eigenes Gewürz hinein. So hat es auch in der Druckerei gerochen“. Sklenksy ruft den Kellner: „Was habt ihr da für ein Gewürz in eurem Gulasch außer Paprika?“

Genau in diesem Augenblick läutet Sklenskys Mobiltelefon. Der Gerichtsmediziner Alfons Übel ist dran. „Ich bringe Sie jetzt möglicherweise um Ihr Geschäft, Herr Sklensky,“, sagt er, „aber ich habe mir die Leiche vom Sablatnig nochmals angesehen. Der ist an einem Herzinfarkt gestorben, der ist gar nicht ermordet worden. Die äußeren Verletzungen rühren vom Sturz her und beim Fallen ist er wohl noch ins Messer gestürzt. Das hätte ihn übrigens auch umgebracht, aber mehr als tot sein geht eben nicht.“ „Aha“, sagt Sklenksy, „aber warum gerade heute in der Nacht und warum geht er zum Sterben in die Druckerei?“. „Das wird dann wohl der Arbeitsinspektor klären müssen und nicht Sie, Herr Sklenksy,” sagt Übel. „Der Geruch in der Druckerei war übrigens Kreuzkümmel.“

„Im Gulasch bei uns ist Kreuzkümmel – Spezialität von Chefkoch“, sagt in diesem Moment der Kellner. „Dann ist ja wohl alles geklärt.“, sagt Sklensky.

„Ist die Druckbranche denn so unter Druck, dass man davon einen Herzinfarkt bekommen kann?“, fragt Sklensky. „Der Druck auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Druckbranche nimmt eben immer mehr zu, ….“ beginnt Robert Rath, als müsste er ein neues Mitglied werben. „Sind Sie eigentlich für heute vom Dienst freigestellt worden?“, unterbricht ihn Sklenksy. „Ich hab’ Sie gerade nicht verstanden, das muss wohl am Wind liegen,“ meint Rath, „nehmen wir noch ein Bier? Wozu gibt es eigentlich eine Sonderkommission für Druckereien?“. Nun hat Sklenksy ein Problem mit dem Verstehen. „Haben Sie noch eine Zigarette?“, fragt er. Das wird ein langer Tag, vermutet er.

Sklensky gewinnt einen Freund erschien erstmals im August 2015.

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